Unser Trafikant in Peking:
Dabeisein ist alles
24.03.2022
Das Paralympic-Tagebuch von Trafikant Bernhard Hammerl
Österreich war bei den Paralympics in Peking mit 16 aktiven Sportler*innen in vier Disziplinen vertreten. Im Snowboard ist Bernhard Hammerl – der immer lächelnde Trafikant aus Fügen im Zillertal gestartet. Für den 44-Jährigen war es sein erstes Antreten. Der seit einem Arbeitsunfall im Jahr 1998 beinamputierte Snowboarder trat im Snowboard Boardercross und im Banked Slalom an. Für die MVG und für seine Berufskolleg*innen hat er ein Tagebuch geführt. Viel Spaß beim Lesen.
Eine Geschichte – meine Geschichte
Die Paralympics in Peking waren ein großartiges Ereignis, und werden für immer in meinem Gedächtnis gespeichert bleiben. All der Rummel, die vielen Eindrücke, die vielen Sportfreunde – es ist schwer für mich das in Worte zu fassen. Es waren meine ersten Spiele, aber sicher nicht meine Letzten! Es ist eine große Ehre, bei so einer Veranstaltung Dabeisein zu dürfen. Und wie viele Menschen können das von sich schon behaupten. Und auch wenn ich mit Abstand der älteste Teilnehmer war und bei beiden Rennen in den Ergebnislisten im hinteren Bereich gelandet bin, bin ich stolz. Stolz auf meine Leistung. Ich habe mit dem Rennen fahren erst im Oktober 2021 begonnen und habe es innerhalb nur einer Saison geschafft, mich für die Paralympics zu qualifizieren. DABEISEIN IST ALLES stand im Vordergrund. Und jetzt, wo ich wieder ausgeschlafen bin, kann ich noch mehr lächeln.
Tag 17 & 18
Die Heimreise nach Fügen
Nun sind wir also auf den Weg nach Hause. Ich bin echt müde und angeschlagen. Um 14:00 Uhr Ortszeit Abflug aus Peking nach Frankfurt. Leider dauert der Flug 2,5 Stunden länger als der Hinflug, weil wir Russland nicht überfliegen dürfen. Im Flieger verarbeiten wir alle gemeinsam die letzten drei Wochen und dazu gibt es auch das eine oder andere Bier. So vergeht die Zeit und in Frankfurt heißt es Abschied nehmen von den anderen Nationen.
Danke an die Austrian Airlines, die uns Athleten auf die erste Klasse upgradet – endlich kann mich ausstrecken. Am Flughafen in Wien wird der rote Teppich für uns ausgerollt. Politiker, Bundesheer und Fernsehstationen erwarten uns am Rollfeld und empfangen uns herzlich.
Gleich danach geht’s zur Liveübertragung des ORF in ein Fernsehstudio. Wir berichten über unsere Eindrücke und probieren ein bisschen Stimmung aus dem fernen Land zu beschreiben. Auch ein Buffet zu unseren Ehren dürfen wir noch verputzen, bevor wir ins Hotel gebracht werden. Gleich am nächsten Morgen fahre ich mit der Bahn nach Hause und darf in meinem Bett wunderbar schlafen.
Tag 16
Abschlussfeier
Um 15:30 geht es erst mit dem Bus und dann mit der Bahn und mit noch einem Bus zur Abschlussfeier nach Peking. Auch wenn die Zeit sehr aufregend und spannend war, jetzt sind wir langsam froh wieder nach Hause zu kommen. Die Abschlussfeier war wunderschön, ich habe diesen Moment ganz entspann auf mich wirken lassen und werde die Tage nie vergessen. Um 1.00 Uhr sind wir wieder im Camp und um 3:45 Uhr holt uns der Bus ab – es geht nach Hause!
Tag 15
Einpacken und Verabschieden
Heute war ein Tag zum Entspannen, Nachdenken und Verdauen – und zum Verabschieden und Einpacken. Letzter Tag in China.
Tag 14
Die Bindung bricht
Heute ist der Tag des letzten Rennens, es ist wieder etwas kälter, aber darauf waren wir eingestellt. Die Bretter noch einmal abziehen und ab zum Start. Die Bretter laufen gut und nach dem Aufwärmen und Einfahren mache ich mich auch schon bereit für den Trainingslauf. Es läuft perfekt und ich hatte ein gutes Gefühl am Brett und meinen bisher schnellsten Lauf. Nun heißts warten, ich habe eine hohe Startnummer. Los geht’s! Bei der Hälfte der Strecke liege ich gut im Rennen, bei der Zwischenzeit bin ich Top 15. Aber dann, ein Schlag aufs Brett, die Bindung bricht … Sturz. Ich fahre zwar noch ins Ziel aber meine Zeit ist dementsprechend schlecht: Letzter Platz. Und für den zweiten Durchgang fehlt auch die Ersatzbindung. Jetzt heißt es basteln: Mit einem Kabelbinder schaffen wir eine Lösung, ich kann also den zweiten Durchgang fahren und meine Zeit um 10 Sekunden und zwei Plätze verbessern. Mehr war leider nicht drin – aber ich bin zufrieden. Am Abend gibt es eine kleine Feier mit den anderen Nationen. Gute vorletzte Nacht!
Tag 13
Ein schwarzer Olympia-Tag
Dieser Tag war nicht mein Tag. Ich bin in der Früh schon nur schwer in meine Prothese gekommen und jeder Schritt tut weh. Ich versuche alles um die Schmerzen so einigermaßen in den Griff zu bekommen und mit Hilfe einiger Hilfsmittel, Cremen und Schmerzmittel schaffe ich es wenigstens am Training teilzunehmen zu können. Gleich beim Frühstück haben wir dann auch erfahren, dass das Rennen um einen Tag vorverlegt wird, weil die Temperaturen weiter steigen werden und weil der Wetterbericht Regen prognostiziert.
Oben am Berg der nächste Schock: Ich habe mich total im Wachs vergriffen, das Brett läuft überhaupt nicht. Das falsche Wachs, der angeschlagene Beinstumpf, zwei Stürze in vier Läufen… kein wirklich erfolgreicher Tag. Und ab in den Wachsraum – wir mussten uns was Neues einfallen lassen. Aber nicht nur wir. Die Deutschen, die Schweizer und auch die Italiener gesellten sich dazu und waren einer Meinung: Es wird ein Poker werden morgen mit dem Wachs und den Temperaturen. Ich wachse jedes Brett anders und werde schauen, welches morgen am besten läuft.
Tag 12
Die Temperaturen steigen
„Heute startet das erste Training für den Banked Slalom und ich bin schon nervös aufgewacht. Die Nacht war eher kurz, ich konnte nicht einschlafen. Es wird wärmer. Die Temperaturen sind in die Plusgrade gestiegen, es muss umgewachst werden. Es wurde eine Trainingseinheit auf 2 Stunden angesetzt und nach der Besichtigung des Kurses durften wir auch schon zum Start und das Training ging los. Der Kurs sah bei der Besichtigung um einiges schneller aus aber durch die hohen Temperaturen ist er sehr langsam geworden und wurde schnell in Mitleidenschaft gezogen – wir hatten alle zu kämpfen. Vier Läufe habe ich absolviert und wurde von Lauf zu Lauf schneller. Es hat richtig Spaß gemacht. Aber dem ganzen Team war klar, dass sich bei diesem Rennen alles um das richtige Wachs dreht – drum haben wir noch ein paar Stunden gewerkt und ausprobiert. Danach ging es ins Camp zur Fitness-Einheit und zur Physio. Ein Super-Tag.
Tag 10 & 11
Schonung
„Mein Beinstumpf ist verletzt, ich muss mich schonen und so viel wie möglich ohne Prothese gehen."
Tag 9
Bauchlandung und viele Emotionen
„Heute ist der Tag, auf den ich so lange hingefiebert habe. Ich, Bernhard Hammerl, starte bei meinem ersten olympischen Rennen. Dementsprechend nervös bin ich auch und die Nacht war eher unruhig. Wir sind wieder früh auf den Berg, um die Boards für das Rennen zu präparieren. Andere Nationen haben dafür Service-Leute mit, wir schaffen das selbst. Nach den zwei Trainingsläufen – bei denen ich leider wieder gestürzt bin, baut mich der Trainer noch einmal auf und los geht’s an den Start. Das Rennen läuft echt gut, ich bin in meinem Element – alles läuft nach Plan. Fast alles … leider stürze ich beim Zielsprung und rutsche am Bauch ins Ziel. Platz 18 von 23 Startern im ersten Lauf. Ohne Sturz wäre ich Top 16 gewesen – also qualifiziert. Aber mir bleibt ja noch der zweite Durchgang und ich bin top motiviert und habe ein gutes Gefühl. Ich gebe alles, aber das war wohl zu viel … Fehler in der Kiker-Line, ich springe zu kurz und lande zu flach ... und verliere die Kontrolle und stürze. Meine Laune trübt das nicht, aber mein Beinstumpf ist beleidigt. Leider reicht es nur für Platz 21, aber die Überquerung der Ziellinie am Bauch im ersten Durchgang war sicher der lustigste Zieleinlauf.
Und jetzt gilt es, mein Bein in Ordnung zu bekommen und mich auf die Banked-Slalom-Rennen vorzubereiten. In zwei Tagen gehen die Bewerbe los.
Mein Resümee des ersten Events: Ich habe mich mit den Besten der Welt bei einem Mega-Event gemessen. Der immer lächelnde Trafikant ist im Weltcup angekommen und erlebt einen persönlichen Traum. Mit diesem Gefühl sage ich: Gute Nacht“.
Tag 8
Mit 66 km/h und vielen Problemen
„6:00 Uhr Tagwache! Um 7:15 Uhr ging es schon rauf auf den Berg. Da wir ja alles selber machen, mussten wir noch die Snowboards fürs Training vorbereiten. Und da gestern der Wind das Training unmöglich gemacht hat, standen heute Trainings am Programm. 9:30 Uhr Besichtigung, 10:00 Uhr erstes Training. Und für mich war es auch das erste Mal, dass ich den Kurs befahren durfte – und ich habe mir schwergetan. Viermal habe ich probiert die Strecke zu bewältigen – bei jeder Fahrt bin ich gestürzt. Der Lauf ist etwa doppelt so schnell und so anstrengend wie alles, was ich zuvor gefahren bin. Ich war echt am Boden, aber mein Trainer Noah Abdel Aziz hat mir gut zugesprochen, und mir Mut gemacht und am Nachmittag – bei der zweiten Trainingseinheit – schaffte ich den Kurs zweimal ohne Sturz. Höchstgeschwindigkeit 65,8 km/h und alle Sprünge bestanden. Ein echter Sprung in die richtige Richtung. Nach dem Training fühlte ich mich gut, der Trainer bestätigte meine Fortschritte. Ich darf halt auch nicht vergessen, dass ich erst im Oktober 2021 mit dem Boarder-Rennen begonnen habe und allein die Tatsache hier in Peking zu sein einem Podestplatz gleichkommt.“
Tag 7
Stürmische Eröffnungsfeier
„Heute wäre das erste Training am Programm gestanden, aber leider abgesagt: Zu starker Wind! Stattdessen größere Einheit im Fitness-Studio. Und dann ging die Reise zur Eröffnung los. Mit dem Bus zum Bahnhof und dann mit einem Schnellzug – einem Sonderzug für alle Athlet*innen der Paralympics – mit 300 km/h zwei Stunden lang durch die chinesische Landschaft. Vom Bahnhof ging es direkt ins Stadion, wo unsere Spiele eröffnet wurden. Ein unbeschreiblich schönes Gefühl mit allen anderen Nationen einzuziehen und die Paralympischen Spiele zu eröffnen. Es waren ergreifende Momente und mir sind kurz die Tränen in die Augen geschossen.
Danach ging es retour ins Camp und um 1:00 Uhr war ich endlich im Bett. Schlafen konnte ich noch lange nicht – im Kopf waren viel zu viele Momente und Gedanken, die ich erst mal verarbeiten muss.“
Tag 6
Ein Cross-Kurs mit Hindernissen
"Ein wichtiger Tag: Die erste Besichtigung des Boarder-Cross-Kurses steht am Programm. Der Kurs ist knackig und echt schnell. Der Start eine technische Herausforderung, die Hindernisse sehr hoch und überwältigend.
Ich habe echt Respekt vor der Strecke und der Kurssetzung. Es wird nicht leicht hier durchzukommen und dabei noch schnell zu sein. Nach der Starteinheit folgen einige Roller und Banks, die erst mal gemeistert werden müssen - andere Banks sind so konstruiert, dass man drüber springen muss. Nach der Besichtigung dürfen fünf auserwählte Teilnehmer den Kurs testen und wir dürfen zusehen. Hier sieht man schon, welche Linie man nehmen muss und bekommt ein Bild vom ganzen Kurs. Respekt, die Strecke hat es wirklich in sich.
Danach große Videoanalyse im Camp - Besprechung mit den Trainern und Vorbereitung darauf, morgen den Kurs selbst testen zu können. Jetzt ist Konzentration wichtig, wie fahre ich wo, welche Fehler kann ich vermeiden.
Morgen ist auch noch die Eröffnungsfeier der Paralympischen Spiele. Anreise zwei Stunden - mühsam, aber uns allen ist es wichtig dabei zu sein - es wird sicher ein unvergessliches Erlebnis. Gute Nacht!"
Tag 5
Köstlichkeiten aus aller Herren Länder
"Heute starteten wir mal etwas später mit dem Training am Berg, der Jetlag sitzt uns immer noch in den Knochen und einen Muskelkater habe ich auch. Ich komme aber immer besser mit der Prothese und dem Schnee hier am Berg klar und so werden auch meine Fahrten immer besser.
Und wer so fleißig trainiert muss auch viel essen. Das Buffet hier ist sehr genial: abwechslungsreich und ausreichend. Das Personal ist zuvorkommend und kein Wunsch bleibt offen. Die Auswahl ist enorm, es gibt Spezialitäten aus aller Herren Länder, aber auch traditionelle Köstlichkeiten - und Obst, Gemüse, Müsli, Joghurt Eis. Und sogar einen KFC (Kentucky Fried Chicken)
Ich versuche zwar mich gesund zu ernähren, aber es ist schwer zu widerstehen. In der Mittagspause habe ich eine Runde durchs Dorf gemacht und mir die Haare schneiden lassen - wurde gut gestylt ... und alles kostenlos. Und in der Coca-Cola-Lounge war ich auch schon und habe an der Wand unterschrieben - genau so wie alle anderen Athlet*innen dieser Olympischen Winterspiele. Die Zeit hier vergeht wie im Flug. Zwischen Training und Fitness-Einheiten bleibt wenig Zeit. Aber heute hat der Tag mit einer Einheit beim Physio geendet - gegen die kleinen Wehwehchen ideal."
Tag 4
Alles wird gut - das Leben ist schön
"Und wieder ganz früh aufstehen und rauf auf den Berg. Heute lief alles viel besser. Ich werde von Abfahrt zu Abfahrt schneller, das Material läuft und die Prothese passt gut. Das Training heute hat richtig Spaß gemacht. Zurück im Quartier wartete schon das Kamerateam vom ÖSV und wir haben Interviews gegeben und waren die Hauptdarsteller im Filmdreh.
Auch im Camp ist es super. Wir sind herumspaziert, haben mit den anderen Athleten gesprochen und haben uns mit allen Nationen ausgetauscht. Bei uns Snowboardern ist das einfach anders. Uns geht es ums Boarden und um die Lebenseinstellung, miteinander und füreinander da zu sein.
Ich kann mich nur wiederholen: Es ist ein großartiges Erlebnis, dass ich ewig in Erinnerung haben werde und ich bin richtig glücklich!"
Tag 3
Chaos und Probleme mit der Beinprothese
"Sehr frühes Training heute. Und leider ging einiges schief mit der neuen Prothese und es war wirklich kein Spaß. Alle Versuche die Prothese besser einzustellen sind misslungen. Nach dem Training bin ich dann vor Ort zu einem Spezialisten und wir haben gemeinsam drei Stunden nach einer Lösung gesucht. Danach war ich noch im Fitnesscenter und bin früh ins Bett. Trotz allem war es ein spannender Tag und natürlich überwiegt das Glück hier zu sein und der olympische Gedanke."
Tag 2
Erstes Training auf chinesischem Schnee
"Heute hatten wir unseren ersten Tag am Schnee und es war einfach nur super. Die neue Prothese passt gut und ich muss sie jetzt nur mehr richtig einstellen. Nach dem Pisten-Training waren wir noch im Fitness-Studio und danach gab es 45 Minuten Konditionstraining am Hometrainer.
Alles in allem ein super Tag. Natürlich haben wir uns auch schon mit den Athlet*innen und Trainern der anderen Nationen ausgetauscht. Es gibt ja genug zu besprechen und die ersten Erfahrungen abzugleichen.
Die Snowboard-Community ist einfach eine große Familie. Jeder hilft jedem. Erst bei den Rennen schaut jeder auf sich selbst. Das war immer so und das macht diesen Sport einfach so besonders.
Morgen ist wieder ein ordentliches Programm geplant. Ich freu mich drauf und schicke glückliche Grüße nach Österreich!"
27.2.2022
Verabschiedung durch den Bürgermeister und Start in ein sportliches Abenteuer im fernen China
Nach der Teampräsentation durch den österreichischen Bundespräsidenten in Wien und einem letzten Training in Fügen war es so weit: Abreise nach Peking – Start der olympischen Winterspiele für Bernhard Hammerl und das österreichische Team.
„In Tirol wurden vom ÖOC alle Athleten und Betreuer eingesammelt und zum Flughafen nach Salzburg gefahren. Abflug war am Freitag um 14:50 Uhr. Zwischenstopp in Frankfurt und dort Umstieg in eine Chartermaschine nach Beijing.
Neun Stunden Flug, ich habe viel geschlafen, fühle mich fit. Bei der Ankunft in Beijing folgten strengste Sicherheitskontrollen und Corona-Checks. Bis wir in unseren Bussen saßen, vergingen Stunden. Zwei Pausen später endlich die Ankunft im Zhangjiakou Paralympic-Village. Abendessen, ein Spaziergang und Gute Nacht! Am Tag danach das erste Training. Schöne Grüße aus Peking!"